EUROLOVE, MINSK 2010

Mit 20 habe ich zum ersten Mal geheiratet, aus dieser Ehe stammt meine Tochter Angelina. Ihr Vater hat sich nie sonderlich für sie interessiert. Als die Ehe nach vier Jahren zerbrach, wollte ich nur noch weg von hier. Also bin ich nach Prag gegangen, meine absolute Traumstadt. Über das Internet habe ich dort einen Deutschen kennengelernt. Wir sind zusammen nach Berlin gegangen und später nach Hamburg, zu seinen Eltern.

Als er mich heiraten wollte, habe ich gemerkt, dass ich dazu nicht bereit war. Ich habe meine Familie, meine Freunde, mein Leben zu Hause sehr vermisst. In Deutschland sind alle sehr gewissenhaft, alles wird sehr genau geplant. In Weißrussland lebt man mehr in den Tag hinein, geht aus, trifft sich mit Freunden. In Deutschland habe ich das nicht so erlebt. Vielleicht war er auch einfach nicht der richtige Mann. Jedenfalls bin ich zurückgekehrt.

Heute würde ich keinen Mann mehr im Internet suchen. Lieber fahre ich in den Urlaub ins Ausland, vielleicht lerne ich ja so jemanden kennen. Ich möchte eine ernsthafte Beziehung und eine Familie. Das wünscht sich doch jeder, oder?

Meine Tochter soll es einmal besser haben als ich. Vielleicht wird sie Musikerin. Sie ist zwölf Jahre alt, spielt Klavier und singt. Nachmittags geht sie auf eine Musikschule. Neulich ist sie sogar mit einem Stück aus der Oper „Carmen“ aufgetreten.

Ich bin seit vier Jahren geschieden. Mein Mann hat sich in eine jüngere Frau verliebt und das war’s. Die Trennung ist mir sehr schwer gefallen und eigentlich bin ich noch immer nicht ganz frei im Kopf für eine neue Beziehung. Ich habe auch noch nichts unternommen, um einen neuen Mann kennenzulernen.

Ich würde allerdings gerne mal nach Deutschland fahren, schließlich wurde ich dort geboren. Mein Vater war Soldat und hat mit meiner Mutter damals in Magdeburg gelebt. Als ich fünf war, sind wir dann zurückgegangen nach Weißrussland.

Vor zehn Jahren hatte ich mal ein Angebot, nach Deutschland zu gehen und dort als Kellnerin zu arbeiten. Eine Freundin von mir ist gegangen und hat schließlich einen Deutschen geheiratet. Ich bin hier geblieben und manchmal frage ich mich ob das richtig war. Andererseits: Ich arbeite in einem Buchverlag und mag meinen Beruf. Und mein Sohn war damals erst 13.

Heute ist mein Sohn 23 und ich könnte den Schritt wagen. Das ist zwar ein großes Risiko, aber es gäbe trotzdem viele gute Gründe dafür: Viele gute Autoren dürfen bei uns nicht veröffentlichen, weil sie als kritisch eingestuft werden. Und was erscheint, ist häufig seicht. Das kann einen schon frustrieren.

Ich bin in einem Dorf im Süden von Belarus aufgewachsen. In unserem Garten gab es Obst und Gemüse, wir hatten sogar ein Schwein und eine Kuh. Mein Vater war Direktor einer Kolchose. Im Sommer kamen Kinder aus der Stadt zu uns, manchmal ein Dutzend. Wir sind durch die Wälder gelaufen und in Seen gesprungen. Ich war die Älteste und musste ihnen alles zeigen. Manchmal hatte ich keine Lust dazu, aber es hat mich auch stolz gemacht.

Es gab einen Fluss bei uns, auf der anderen Seite war die Ukraine. Als Tschernobyl explodierte, war ich elf Jahre alt. Sie versiegelten die Brunnen, fällten die Bäume und töteten die Kaninchen, die wir in der Schule gezüchtet hatten. Dann sagten sie, die Wolke sei vorbeigezogen. Evakuierung unnötig. Viele gingen trotzdem. Wir mussten bleiben, weil mein Vater, der Kolchose-Direktor, als Vorbild galt. Kinder kamen nicht mehr zu uns und ich ging auch nicht mehr zu den Seen.

Als ich 18 war sind wir nach Minsk gezogen. Ich fand die große Stadt spannend und habe schnell einen Job gefunden. Nach der Schule habe ich Wirtschaft und Psychologie studiert und dann geheiratet. Mein Mann hatte eine Tochter aus erster Ehe, zusammen sind wir nach Russland gezogen. Er arbeitete als Übersetzer, ich habe Masseurin gelernt. Ich hatte studiert, aber Büroarbeit ist nichts für mich. Ich arbeite lieber mit Menschen.

Nach einigen Jahren sind wir wieder nach Minsk gegangen, zu meinen Eltern. Aber die Wohnung war zu klein, es gab viel Streit. Ich wurde schwanger, da haben wir uns getrennt. Heute lebe ich mit meiner Tochter Nastja und meinem Bruder bei meinen Eltern. Es fühlt sich an wie in einem Käfig. Seit einem Jahr will ich nur noch weg, vor allem wegen meiner Tochter. Sie soll mal ein besseres Leben haben als ich.

Mein Traumland ist Kanada. Ich habe gehört, da gibt es viel Wald und Seen und Berge. Nastja liebt die Natur. Und sie tanzt gerne, aber ich wünsche ihr einen anderen Beruf. Vielleicht wird sie eines Tages Ärztin. Ich möchte noch mal eine Familie gründen und in einem Haus mit Garten leben. Am liebsten an einem See, mit Blick auf die Berge.

Ich lerne französisch und versuche eine Arbeitserlaubnis in Kanada zu bekommen. Ich habe ein eigenes Paartherapie-Konzept entwickelt, eine Mischung aus Massage und Gespräch. Wer eine gute Idee hat, bekommt eine Chance in Kanada. Außerdem gibt es nicht genug Frisöre in Quebec, das hat man mit bei der Botschaft gesagt. Also lerne ich Haare zu schneiden. Und dann gibt es noch diese Heiratsagentur, vielleicht finden die ja den Richtigen für mich. Ich wünsche mir einen starken Partner. Ich glaube eine Beziehung funktioniert, wenn der Mann der Versorger ist und die Frau ihn inspiriert.

Mein Vater war ein Trinker, kurz nach meiner Geburt ist er abgehauen. Ein paar Jahre später hat meine Mutter wieder geheiratet, aber der war auch nicht besser. Sie ging zur Arbeit, er saß zu Hause und hat sich betrunken. Wenn er wütend war, hat er meine beiden Schwestern und mich geschlagen. Das haben wir unserer Mutter erzählt, aber sie hat uns nicht geglaubt.

Meine Mutter wollte, dass ich als Kellnerin arbeite. Aber ich wollte lieber Näherin werden und habe mich durchgesetzt. Nach der Ausbildung habe ich meinen Freund geheiratet. Auf unserer Hochzeit war er der Betrunkenste von allen. Als unser Kind zur Welt kam, hat er mich nicht mal im Krankenhaus besucht. Er war erst nach einer Woche wieder nüchtern.

Mein Mann ist in einem Heim aufgewachsen. Was diese Zeit aus ihm gemacht hat, kam erst nach und nach ans Tageslicht. Erst wollte er nicht, dass ich nähe. Zeitverschwendung sei das, hat er gesagt. Dann fing er an mich zu schlagen, immer wenn er getrunken hatte. Als alles immer schlimmer wurde, wollte ich mich scheiden lassen, aber der Richter hat nur gesagt, wir sollen es noch mal versuchen. Für mich gibt es da nichts zu versuchen, aber das wollte der Richter nicht hören.

Also habe ich meine Tochter genommen und bin zu meiner Mutter gezogen. Aber hier habe ich auch keinen Frieden, sie lebt ja immer noch mit diesem Mann zusammen. Außerdem wird diese Gegend immer schlimmer. Als Kinder haben wir auf den Straßen gespielt, heute sitzen überall die Trinker, es gibt sogar Heroin. Neulich wurde sogar ein Polizist ausgeraubt.

Für mich gibt es hier kein Leben mehr. Mein Mann hat gesagt, wenn ich mich mit einem anderen treffe, bringt er mich um. Er wird mich nie in Ruhe lassen. Zurzeit ist der Mann meiner Mutter auf einer Entziehungskur und mein Mann ist mit Kollegen verreist. Am liebsten wäre ich einfach nicht mehr da, wenn sie wiederkommen.

Meine Mutter sagt, ich soll mir das aus dem Kopf schlagen. Ich glaube sie will, dass ich so ein Leben führe wie sie. Aber dafür braucht es einen, der quält und einen, der gequält werden will. Aber so bin ich nicht. Mein Geist hat sich schon lange von hier verabschiedet. Ich muss nur noch meinen Körper befreien.

Ich habe Bekannte in Rostow und in München, die mir helfen könnten, wegzukommen. Ich war nie dort, aber alles ist besser als das, was ich durchmache. Mein Traum ist es, einen kleinen Laden aufzumachen und Kleider für Frauen zu nähen, die etwas fülliger sind. Es gibt zu wenig schöne Sachen für mollige Frauen, finde ich. Ich möchte einen Mann, der sich um seine Familie sorgt. Er muss nicht viel Geld verdienen, aber er soll für mich da sein.

Ich habe Glück gehabt. Vor zwei Jahren habe ich meinen Traummann auf einer Afrikareise kennengelernt. Er ist Pilot und lebt in Los Angeles. Wir waren mit demselben Flieger in Nairobi angekommen und standen um vier Uhr morgens auf einer staubigen Straße vor dem Flughafen. Dann stellte sich heraus, dass wir beide den Bus nach Arusha nehmen wollten. Eigentlich wollte ich alleine sein, ich kam frisch aus einer gescheiterten Beziehung und war verreist um Abstand zu gewinnen. Aber ich fand ihn nett und so kamen wir ins Gespräch.

Ich denke ich werde zu ihm ziehen, er lebt in einem tollen Apartment, hat einen spannenden Freundeskreis, ist aber kein Angeber oder Macho. Um ehrlich zu sein: Wenn ich bei ihm zu Besuch bin, fühle ich mich wie eine Königin. Ich glaube, Amerikaner mögen Russinnen, weil wir sie nicht so klein halten, wie viele Frauen dort das tun. Im schlimmsten Fall sieht das so aus: Sie heiraten, unterdrücken ihre Männer, lassen sich scheiden und kassieren ab. Russinnen sind auch starke Frauen, aber nicht so verwöhnt. Wir fordern eher etwas im spirituellen Sinn.

In Weißrussland sehe ich keine Zukunft für mich. Früher war ich mit einem sehr erfolgreichen Geschäftsmann verheiratet und habe für eine Wirtschaftszeitung gearbeitet. Vor sieben Jahren wurde die Zeitung dann geschlossen, wie so viele Zeitungen, die Probleme beim Namen nannten. Es gibt bei uns schlicht keine Pressefreiheit. Dann hat mein Mann mich verlassen. Heute arbeite ich für eine IT-Firma, unsere Auftraggeber sind Öl- und Gasunternehmen und Pharmafirmen. Ich liebe meinen Job, aber ich merke auch wie die Situation im Land mich lähmt.

Auch einen Mann zu finden ist schwierig für eine Frau wie mich. Ich schätze hier kommen drei oder vier Frauen auf einen brauchbaren Mann. Das macht der Alkohol, mit vielen kann man einfach nichts anfangen. Eine Bekannte von mir hat neulich jemanden kennengelernt, der sagte, er wolle sie heiraten. Dann ist er mit ihrem Geld abgehauen. Aber selbst wenn man heiratet, ist das keine Garantie für ein Leben zu zweit. Märchen enden mit der Hochzeit, aber die Frage ist doch: Was passiert danach?

Ich habe in der Schule ein bisschen Deutsch gelernt, einfach weil es mich interessiert hat. Ich wollte ich auch gerne mal nach Deutschland reisen, aber wie? Meine Familie konnte mir nicht helfen, also habe ich mir selbst geholfen. In einem Chat habe ich einen netten jungen Mann kennengelernt, der in der Nähe von Fulda gelebt hat. Dort habe ich ihn auch mal besucht, da war ich 17. Nach der Schule habe ich Englisch und Deutsch studiert und bin einmal als Übersetzerin mit einer Studentengruppe nach Deutschland gefahren. Wir haben Berlin besucht, Wolfsburg und Frankfurt.

Heute arbeite ich in einer Firma, die Ersatzteile für landwirtschaftliche Maschinen verkauft. Ich bin für einen Zulieferer aus Deutschland verantwortlich. Die Arbeit macht mir Spaß, aber in Deutschland würde ich mit meiner Ausbildung sicher mehr erreichen.Deshalb probiere ich nach Deutschland zu kommen. Mein erster Versuch, die Bewerbung für ein Stipendium, hat leider nicht geklappt.Jetzt läuft mein zweiter Versuch: Die Bewerbung für ein Austauschprogramm des Deutschen Bundestags. Wenn das klappt, kann ich für ein halbes Jahr in Berlin leben und arbeiten.

Ich würde gerne einen Deutschen Mann kennenlernen. Dabei geht es mir nicht so sehr um die materielle Absicherung geht.Ich verdiene ja mein eigenes Geld. Ich würde auch nicht mehr jemanden übers Internet suchen. Ich habe da zu viele abschreckende Geschichten gehört. Freundinnen von mir haben deutsche Männer geheiratet, die sie über Agenturen kennengelernt haben. Heute sind sie sehr unzufrieden.

Ich glaube, die Deutschen planen sehr viel mehr als wir Weißrussen. Wir leben nicht so sehr nach einer strikten Ordnung, sondern mehr in den Tag hinein. In einer Beziehung kann das zu einem Problem werden, muss er aber nicht. Die Hauptsache ist, dass man sich liebt.

Es geht nicht darum, wo ein Mann herkommt. Es geht darum, was er für ein Mensch ist. Aber hier in Weißrussland finde ich einfach niemanden, der mir gefällt. Ich arbeite für ein Transportunternehmen, da treffe ich ja viele Männer. Kann sein, dass ich auch ein bisschen wählerisch bin, aber ich stehe eben auf eigenen Beinen. Auf der anderen Seite, suche ich schon eine Schulter zum Anlehnen. Ich glaube, ich möchte einfach nicht nochmal enttäuscht werden.

Mein erster Mann ist zur See gefahren. Er war immer ein halbes Jahr am Stück weg, dann kam er für drei Monate nach Hause. Das war zwar nicht immer leicht, aber eigentlich war alles in Ordnung. Und dann kam doch alles anders: Er hat seinen Job verloren und ist zurück in seine Heimatstadt, nach St. Petersburg gegangen. Anders konnte er damit offenbar nicht umgehen.

Das ist jetzt 15 Jahre her. Unser Sohn ist mittlerweile 22 Jahre und verdient neben seinem Studium Geld als Skateboarder, er ist Semi-Profi. Er reist viel durch die Welt und erzählt mir dann, was er alles erlebt hat. Hier in Minsk ist die Situation für uns nicht besonders. Wir leben zu acht in einer Dreizimmerwohnung, meine Eltern, mein Bruder und seine Familie, mein Sohn und ich.

Manchmal würde ich gerne einfach die Zelte abbrechen. Mein Traumland ist Belgien. Nach Rom würde ich auch gerne mal fahren. Aber wie soll das gehen? Vor 10 Jahren habe ich mal ein Portfolio für eine Agentur gemacht. Ein Mann kam dann auch auf mich zu. Er wollte eine Russin kennenlernen, aber er war nicht der Richtige.

Ich will mich selbst verwirklichen und das ist in Weißrussland nicht möglich. Ich habe Tourismus und Kunstgeschichte studiert und für einen Reiseveranstalter gearbeitet, Touren für Ausländer in Minsk organisiert. Dann mussten wir zumachen. Als kleines Unternehmen hat man einfach keine Chance.

Dann habe ich eine Boutique im Zentrum eröffnet, aber bald konnte ich nicht mal mehr die Miete zahlen. Es ist doch so: Wer es in diesem Land auf ehrliche Weise versucht, ist zum scheitern verurteilt. Jetzt arbeite ich im Betrieb, den meine Mutter und mein Stiefvater leiten. Wir verkaufen Werkzeuge für Tischler, aber ich werde nur bleiben, bis sich etwas Neues ergibt. Ein Projekt, bei dem ich mich entfalten kann, am besten etwas im Ausland.

Seit einiger Zeit entwickele ich gemeinsam mit einer Freundin Drehbücher, wie wollen Filme machen. In Moskau habe wir jemanden gefunden, der unseren ersten Film finanzieren will. Jetzt brauchen wir nur noch einen Regisseur, deshalb bin ich in neulich nach Paris und London geflogen und habe mich mit Leuten getroffen. In London hat ein weißrussisches Magazin Fotos von mir im Hotel Doucester gemacht – in einem Hotelzimmer, in dem schon Sylvester Stallone und Edith Piaf gewohnt haben!

Als ich 23 war, habe ich mich mal in einer Partnervermittlung angemeldet. Prompt hat mich ein Mann nach Barcelona eingeladen. Er hatte ziemlich viel Geld, hätte aber mein Vater sein können, so alt war er. Ich habe dann fünf Tage Urlaub dort gemacht, wir waren am Strand, im Museum und in Restaurants, mehr ist nicht passiert.

Viele meiner Freunde leben in Deutschland, England oder Spanien. Mein Traumland ist Frankreich. Ich würde gerne einen Ausländer kennenlernen, aber es muss die große Liebe sein. Eine Partnervermittlung würde ich nicht wieder beauftragen, lieber gehe ich persönlich auf die Suche, zum Beispiel wenn ich mal wieder in Paris bin. Wenn der richtige Zeitpunkt da ist, wird es schon passieren, da bin ich mir sicher. Neulich hat mich ein französischer Arzt in einem Flugzeug angesprochen und wollte mich gleich heiraten. Mal sehen, vielleicht treffe ich ihn wieder.

Ich habe eine dreijährige Tochter. Ihr Vater und ich haben uns schon während er Schwangerschaft getrennt. Ich möchte gerne noch zwei Kinder bekommen. Job und Kinder unter einen Hut zu bekommen, sehe ich als Herausforderung. Je mehr Aufgaben man mir gibt, desto mehr Energie habe ich. So bin ich.

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